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Elektronisches Weihnachts-Märchen

Es war einmal zur Zeit t=0 ein armer, aber rechtsschaffender Vierpol
namens Eddy Wirbelstrom. Er bewohnte einen bescheidenen
möblierten Hohlraum mit Dielektrikum und fließend kaltem und
warmen Sättigungsstrom. Leider musste er in der kalten Jahreszeit
für die Erwärmung der Sperrschichten noch extra zahlen. Seinen
Lebensunterhalt bestritt er mit einer Transduktorverstärkung.

Eddy liebte mit der ganzen Kraft seiner Überfunktion
Ionchen. Ionchen, die induktive Spule mit dem kleinsten Fehl-
winkel im ganzen Kreise und die Tochter der einflussreichen EMK.
Ihr remanenter Ferritkörper, ihre symmetrischen Impedanzen und
ihre überaus harmonischen Oberwellen brachten auch schon aus-
gediente Leydener Flaschen zu Überschlägen im Dielektrikum
(was viel heißen will)

Ionchens Vater, Cosinus Phi, ein bekannter Industriemagnet und
Leistungsfaktor hatte allerdings schon konkrete Schaltpläne für die
Zukunft seiner Tochter. Sie sollte nur einer anerkannten Kapazität
mit ausgeprägtem Nennwert angeschlossen werden. Aber wie so oft,
der Zufallsbetrieb wollte es anders.

Als Ionchen eines Tages mit ihrem Mikrofahrrad vom Friseur nach
Hause fuhr - sie hatte sich eine neue Sinushalbwelle legen lassen -
da geriet ihr ein Sättigungszahn in die Filterkette. Aber Eddy
Wirbelstrom, der die Gegend frequentierte, eilte mit minimaler
Laufzeit hinzu, und es gelang ihm, Ionchens Kippschwingung noch
vor dem Maximum der Amplitude abzufangen und gleichzurichten.

Es ist sicher nicht dem Zufall zuzuschreiben, dass sie sich bald
wiedersahen. Eddy lud Ionchen zum Abendessen ins "Goldene
Integral" ein. Aber das Integral war bekanntlich geschlossen.
"Macht nichts", sagte Ionchen, "ich habe zu Mittag fast 0,2 Kilo-
Hertz gegessen und die Sättigungsinduktion bis jetzt gehalten und
außerdem muß ich auf meine Feldlinien achten". Unter irgend-
einem Vorwand lud Eddy daraufhin zu einer Rundfahrt im Rotor
ein. Aber Ionchen lehnte ab: "Mir wird bei der zweiten Ableitung
immer so übel". Und so unternahmen sie, ganz entgegen den
Schaltplänen von Vater Cosinus Phi, einen kleinen Frequenzgang
ins naheliegende Streufeld.

Der Abend senkte sich über die Komplexe Ebene und am Himmel
erglänzten die Sternschaltungen. Nur ein einsamer Modulator flog
vorbei, sanft plätscherte die elektromagnetischen Wellen und die
Röhren rauschten leise. Bei der Wheatstonschen Brücke genossen
Eddy und Ionchen innig die leitende Verbindung.

Und wenn sie nicht gedämpft wurden, dann schwingen sie noch heute.....


Eingesandt von W. Reis, Gelsenkirchen;
aus: "Kontakt" Nr. 2, Zeitschrift der Fachschaft
Elektrotechnik an der Ruhr- Universität Bochum